Sonntag, 4. Mai 2014

Sabine Murza

Menschen in Baden-Baden

heute: Sabine Murza

 

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Selten ist es mir so schwer gefallen, ein Portrait zu schreiben wie diesmal. Drei Stunden haben wir in ihrer dämmrigen, künstlerisch gemütlichen Wohnhöhle zusammen gesessen, haben geredet, gelacht, gefragt und zugehört. Und als ich ging, fühlte ich mich erschlagen, denn irgendwie kam es mir vor, als habe ich diese zierliche, lebendige Frau einfach nicht fassen können. Sabine Murza. Wer bist du?

Ich drücke mich vor diesem Bericht, warte ab. Wir haben einen zweiten Termin vereinbart, in der Clara-Schumann-Musikschule, wo sie Schülerinnen Gesangunterricht erteilt. Vielleicht bekomme ich sie da an den Haken. Aber nein. Wieder eine neue Sabine Murza, eine, die konzentriert lauscht, ernst dreinblickt, geduldig "uuuu","iiiii" "aaa"vormacht, auf die Töne der Schülerin lauscht, den Kopf schüttelt, den Ton auf dem Klavier anschlägt, ihre Laute kraftvoll wiederholt.



Nebenbei gesteht sie mir, dass sie nicht mehr schlafen kann, seitdem wir miteinander geredet haben und sie so viel von sich erzählt hat. Was kommt in den Bericht? Wie viel von ihrer Seele werden nun wildfremde Menschen sehen können, verewigt im Internet?

Nun bin ich es, die eine schlaflose Nacht hat, die ihre Aufzeichnungen hinschreibt ohne Seele, nur, um endlich anzufangen und gleichzeitig zu wissen, dass alles wieder im Papierkorb landen wird.

Die Sonne scheint durchs Fenster, trifft ein Glas, das funkelt - und plötzlich ist es da, das Bild von Sabine Murza. Was kann diese vielseitige Frau besser treffen als das Bild von einem geschliffenen Diamanten? All die Facetten, diese Farben, die Klarheit, die Ecken, sie sich so glanzvoll zu einem großen Ganzen fügen... Genau wie bei der Künstlerin, die alles in einem ist: Sängerin, Tänzerin, Schauspielerin, Lehrerin, Schamanin, Coach, Fernsehsprecherin, Bauchrednerin... Es scheint nicht zusammenzupassen, und doch gehört alles an seinen Platz.

Fangen wir also an.

Von vorne. Und schon regt sich Widerstand. Geburtsjahr? Das echte? "Künstler machen sich doch immer fünf Jahre jünger", lerne ich. Es klingt besorgt, nicht eitel. Also gut. Geboren in den 70er Jahren.

Ein typisches Ruhrgebietskind. Aufgewachsen in Gelsenkirchen, Opa Bergmann, Vater Busfahrer. Die musikalische Ader hat sie von der Mutter geerbt, die Akkordeon spielt. Aber ein Instrument zu lernen, war nicht ihr Ding, sie wollte singen. Immer nur Singen. Schon im Kindergarten war sie selig, wenn sie ein neues Lied lernte, das sie sofort ihrer Mutter vorsang, dann der Großmutter, später kamen erste Aufritte auf Schulfesten dazu. Eigentlich sollte sie in den Chor eintreten, aber auch dagegen wehrte sie sich. "Ich hatte Angst, man würde mich da nicht hören", gesteht sie und lacht herzlich. Mit zwölf erster Soloauftritt auf einem Schulfest. Sie singt Madonna. Gehversuche mit einer eigenen Band schließen sich an.

Sängerin als Hauptberuf? Traum, nicht Wirklichkeit. Die Realität sieht vollkommen anders aus. "Justizangestellte beim Amtsgericht. Zehn-Finger-Maschineschreiben", haucht sie und rollt die Augen. Und es gruselt einen wirklich, wenn man sich diese quirlige junge Frau in einer Amtsstube vorstellt.

Zum Glück begrub sie ihren Traum nicht, sondern sang, sang, sang nach ihrem achtstündigen Dienst, entwickelte Band-Projekte, hielt Ohren und Augen auf, kämpfte mit schmerzenden Stimmbändern. Zufall oder Lohn des Eifers? Eines Tages traf sie im Bus eine ehemalige Schulfreundin, die ihr riet, Gesangstunden zu nehmen. Sabine Murza war skeptisch. Nichts lag und liegt ihr ferner, als Opernsängerin zu werden. Konnte man denn auch lernen so zu singen, wie sie es tat? Laut und rockig? Ohne Halsschmerzen zu bekommen?



Sie versuchte ihr Glück am Musiktheater Gelsenkirchen, beim Pförtner, der sie genau an die richtige Adresse schickte, nämlich zu Jagna Sokorska-Kwika, einer gebürtigen Polin, die sich einen Namen als Dozentin der Folkwang Hochschule Essen und als Sängerin bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth gemacht hatte. "Ich bin mit meinen Janis-Joplin-Noten zu ihr gegangen", erinnert sich Sabine Murza, "und habe ihr erkärt, dass ich alles singe werde außer Opern."

Zur Website von Jagna Sokosrka-Kwika: Klick

Die Meistersängerin hatte ein Einsehen. Ihr gefiel die junge Frau. "Wie wäre es mit dem Muscialfach?", schlug sie vor. Und so wurde Sabine Murza ihr "Pop-Experiment" und umgekehrt wurde die Lehrerin für Sabine Murza "nach meiner Mutter die zweitwichtigste Frau in meinem Leben."

Und was für ein Leben das war! Von dem Geld, das sie für ihre verhasste Acht-Stunden-Arbeit am Amtsgericht bekam, nahm sie nun Untericht: Fünf Abende in der Woche Tanz, Schauspiel und Gesang, an Wochenenden erste Gehversuche auf den kleinen Bühnen von Kneipen und Hinterhoftheatern, Arbeit mit einer eigenen Band, Entwicklung von Musicalprojekten, Einpauken neuer Lieder, Teilnahme an Talentwettbewerben. Unermüdlich war sie im Einsatz, bis hin zur Übermüdung, zu Stresssymptomen und Kreislaufbeschwerden.

Der Lohn der Tüchtigen: Eine Rolle in der Rocky Horror Picture-Show. Das erste drei-Monats-Engagement. Sabine Murza war selig. Am liebsten hätte sie sofort ihren Brotberuf gekündigt, aber ein wohlmeinender Mensch am Theater hielt sie mit einem "Um Gottes willen, bloß nicht. Das kriegen wir auch so hin" zurück. Was das bedeutete, lernte sie schnell: Neben ihrem Fulltime-Job fünf Vorstellungen in der Woche, egal in welchem Zustand, auch mit Fieber. Jeder andere hätte kapituliert, nicht so Sabine Murza. "Da habe ich Blut geleckt."

Der Lohn blieb nicht aus, Erfolge und Engagements häuften sich.

Warum? Was war ihre Besonderheit? Sie windet sich, will sich nicht in den Vordergrund spielen. "Das hohe Fis", quetscht sie schließlich heraus, und ich lerne, dass es im Popgesang schwierig ist, diesen Ton mit voller Brust zu schmettern statt ihn mit der Kopfstimme vorzutragen.

Ihren weiteren Werdegang erspare ich mir. Er ist auf ihrer Website nachzulesen: Klick

Wie man sieht, folgten sehr turbulente zehn Musical-Jahre mit Auftritten quer durch Deutschland. Das letzte Engagement führte sie nach Baden-Baden, 2004, als Soul Girl Chrystal in "Der kleine Horrorladen" (Regie: Peter Fliegel). Und das war es. Baden-Baden war es! "Ich habe diese Stadt von Anfang an geliebt. Alles ist so lieblich hier. Ich wusste, hier wollte ich bleiben." Genau der richtige Zeitpunkt. Sie fühlt sich müde, ausgelaugt. "Ich hatte keine Lust mehr ewig vorzusingen, mich anzubiedern, die Koffer zu packen. Ich hatte sogar die Lust am Singen verloren. Ich wollte einfach nur hier bleiben und leben." Ist die Stadt nicht viel zu ruhig für eine Umtriebige wie sie? Sabine Murza lacht den Einwand weg. "Ich bin doch selber genug Party. Ich finde die Ruhe so schön."

Und schon fügte sich wieder eins zum anderen. Seit 2005 arbeitet sie als Sprecherin bei Arte und beim SWR, ihre Stimme ist Hintergrund für Reportagen, Dokumentationen, regelmäßig im Kurzfilm-Magazin auf Arte zu hören. Das hohe Fis braucht sie dafür nicht mehr. Das bringt sie jetzt jungen Mädchen bei, die in Rauenberg bei Wiesloch und in der Clara-Schumann-Schule in Baden-Baden Stunden bei ihr nehmen.

Inzwischen ist natürlich ihre eigene Freude am Singen zurückgekommen, sie hat mehrere Bandprojekte laufen und tritt regelmäßig im Sandkorntheater in Karlsruhe auf, so zum Beispiel auch am 31. Mai mit einem Chansonsabend. Mit von der Partie ist dann auch ihr neuester Begleiter, Stoff-Kakadu "Dudu", den sie mit Bauch und Seele zum Reden bringen wird.





























Ende der Geschichte?

Sie kennen Sabine Murza immer noch nicht!

Wenn Sie nach ihr googeln, stoßen Sie auf eine weitere Facette dieser außergewöhnlichen Frau, auf die ruhige, nachdenkliche, einfühlsame.

Coaching und Lebenshilfe heißt die Seite. Klick

Wie passt das zusammen? "Wir Künstler arbeiten ja gar nicht so sehr mit dem Verstand als vielmehr mit dem Gefühl", versucht sie, es mir zu erklären. Dazu musste sie erst mit sich selbst ins Reine kommen, und es wäre nicht Sabine Murza, wenn sie nicht auch das gründlich getan hätte: Schamanische Ausbildung, Erlernen kinesiologischer Techniken und Familienstellen, zertifizierter WingWave-Coach.
"Mit der Zeit wurde mir dann immer klarer, daß ich auch anderen Menschen helfen möchte, ihre Probleme zu meistern und ihren Frieden mit sich selbst zu finden."
Und das ist für sie kein Hokuspokus. "Ich gehe komplett raus aus meinem Ego, verliere mich in Mitgefühl." Kaum zu glauben. Und kurz danach steht sie wieder auf der Bühne, singt sie wieder Chansons? Wie schafft man das, diesen Wechsel, das Umschalten vom "fühlenden Nicht-Sein" zur "Rampensau"? Ein Erklärungsversuch: "Als Schauspieler muss man sich immer wieder aufs Neue in eine Rolle hineinversetzen, als Sängerin in ein neues Lied einfühlen, in Wut und Liebe, je nachdem, was das Lied ausdrücken soll. Und auch beim Coaching muss ich die Fähigkeit haben, mich komplett in andere Menschen hineinzuversetzen."

Mir schwirrt der Kopf. Wie soll ich nur das alles in einen Text packen? Sie scheint zu spüren, was in mir vorgeht. "Eigentlich bin ich viele", sagt sie leise.
Stimmt. Und genau das macht dich so einzigartig, Sabine Murza. Danke.