Sonntag, 14. Juni 2015

Benjamin Nzegwu

Menschen in Baden-Baden, heute:
Benjamin Nzegwu





Aufmerksame Zeitungsleser kennen ihn vielleicht schon: Benjamin Nzegwu ist fast so etwas wie ein "Promi" unter den Asylbewerbern in Baden-Baden, denn er singt und schauspielert gern, stand deshalb schon einige Male auf der Bühne. Seinen ersten Auftrit hatte er beim großen Willkommensfest der Flüchtlinge in Oos, einmal als Sänger...



... dann auch als Schauspieler ...


... und kürzlich erst hatte er einen Auftritt als Mitglied im Gesangverein Concordia:



Stets ist der ca. Dreißigjährige gut gekleidet, immer höflich, darauf bedacht, alles richtig zu machen.
Aber wer ist er? Wie geht es ihm hier in Deutschland, in Baden-Baden, in der Westlichen Industriestraße? Seit wann ist er hier?
Wir verabreden uns im Café König. Er ist pünktlich. Entgegen so mancher Vorurteile.
Angespannt tasten wir uns vorwärts, die Unterhaltung muss (noch) auf Englisch geführt werden, das ist nicht leicht, er spricht viele Wörter anders aus, so dass mein ungeübtes Ohr sie manchmal nicht richtig erfasst. Auch mir fehlen oft die Worte, mein Englisch ist eingerostet, ich höre mich stammeln...
Sein erstes Interview. Er bedankt sich, es sei ihm eine Ehre, seine Geschichte erzählen zu dürfen.
Und gleich erfahre ich, dass er eigentlich gar nicht vorgehabt hatte, in Europa, oder gar in Baden-Baden zu landen. Es hat sich aber so ergeben, um sein Leben zu retten.





In seiner Heimat Nigeria (Hier ein Link auf Wikipedia => KLICK) wuchs er in Onitsha, einer Großstadt, auf, ging zur Schule, studierte Pharmazie, verließ dann sein Elternhaus und lebte als Arzneimittelhändler in der Stadt Damaturu. Die Geschäfte gingen gut, und er konnte sich seiner Leidenschaft als Sänger, Komödiant und Schauspieler widmen. Doch dann zerbrach sein Leben. Boko Haram fielen in Damaturu ein, sie zerbombten alles, auch seinen kleinen Laden. Es war der 4. November 2011, das Datum wird er nie vergessen.

Alles hatte er mit einem Mal verloren, er war gezwungen zu fliehen.

Im Januar 2012 erreicht er schließlich Libyen. Er fand Unterschlupf in Bengasi, nahe dem Flughafen, bekam sogar Arbeit in einer Milchfabrik. Aber Libyen ist ein rechtsfreies Land, es herrscht Krieg. Kriminelle überfielen ihn, zerschnitten ihm das Gesicht, die Hände. Fast wäre er gestorben. Und wieder versuchte er zu fliehen. Aber wohin? Und dann auch noch ohne Dokumente?

Die Grenzen waren geschlossen, der Flughafen zerbombt. Er versuchte zu bleiben, vertraute auf seine Bestimmung, auf sein Talent, auf seinen Glauben.

Aber es half nichts. Ein weiterer Überfall zeigte ihm, dass sein Leben ernsthaft in Gefahr war, wenn er weiter in dem Kriegsland Libyen blieb.
  
Lesen Sie hierzu auch: Anne Poiret auf arte TV:
"Einen Rechtsstaat gibt es heute nicht mehr. In Libyen regiert das Chaos." => KLICK
Libyen ist ein Nährboden für bewaffnete Milizen und illegalen Handel jeglicher Art.
Die Bundeszentrale für politische Bildung über Libyen => KLICK




Und so fand auch er den Weg auf ein Boot, überquerte drei Tage und Nächte lang das Mittelmeer. Er hatte Glück, niemand nahm dort, wo er landete, seine Fingerabdrücke, und so kam er über viele Umwege im Septemebr 2014 in München an, wurde weiter nach Karlsruhe gebracht und von dort nach Baden-Baden.

Das Leben in der Unterkunft ist nicht einfach, sagt er. Mehr sagt er dazu nicht.

Aber er versucht mit Kräften, herauszukommen und seinen Weg zu gehen.

Er hat Glück, denn er ist offen und nimmt Gelegenheiten wahr. Daher funktioniert bei ihm die vielzitierte Integration besser als bei anderen.

Seine Stimme ist zum Beispiel im Gesangverein Concordia mehr als willkommen, jeden Montag probt er dort, donnerstags kommen einige der Chormitglieder persönlich in die Asylunterkunft und bringen ihm und ein paar anderen Bewohnern Noten und Liedtexte bei.

Zweimal die Woche nimmt er vormittags am angebotenen Sprachunterricht teil, viel zu wenig sei das, wie er findet. Er würde gern zügiger lernen, mit einem guten Lehrbuch auch gerne für sich alleine. Und so nimmt er das Angebot der Stadtbücherei gerne wahr, die sich beispielhaft für die Asylbewerber öffnet.

Leiterin Sigrid Münch hat viel Verständnis für die Lage der Asylbewerber. Sie hat Mittel und Wege ausgetüftelt, wie diese unbürokratisch an den Angeboten ihres Hauses teilhaben können, ohne gleich kompliziert Mitgliled zu werden. Nicht nur, dass sie über die Bibliotheksgesellschaft den Sprachlehrern und -schülern  kostenlos Medien zum Deutschlernen zur Verfügung stellt, auch hat sie für sie den Zugang zum Ausleihangebot vereinfacht. Kostenlos nutzbar sei beispielsweise eine riesige Datenbank, mit der man täglich auf 2500 internationale Zeitungen zugreifen kann - in Sprachen, von denen sie selber noch nie gehört hat. Außerdem kann jeder Asylbewerber an den PCs des Hauses täglich eine halbe Stunde kostenlos im Internet surfen.

Angebote, die Benjamin Nzegwu gerne und regelmäßig wahrnimmt und auf diese Weise bereits Kontakte zur Belegschaft geknüpft hat. Diese Kontakte sind es, die ihn glücklich machen.

Denn er will Deutsch lernen, unbedingt. Gerade als Sänger und Schauspieler ist er auf die Sprache angewiesen. Und dann ist da ja noch das Buch, an dem er schreibt. Nachts, meistens um Mitternacht, oft auch morgens ab 4 Uhr sitzt er in seinem kleinen Zimmer, das er sich mit einem anderen Asylbewerber teilt, und schreibt seine Lebensgeschichte auf. Per Hand, weil er noch keinen Computer hat, und auf Englisch. Das macht ihm Sorge. Ob ich nicht jemanden wüsste, der sein Werk simultan ins Deutsche übersetzen könnte, fragt er mich.

Aber dann muss er lachen, als wir darüber reden, dass es ja wohl erstmal wichtig ist, gut durch das Asylverfahren zu kommen. Einen Anhörungstermin hatte er bislang noch nicht, aber davor ist ihm nicht bange. Wenn er seine Geschichte erzählt, und zwar auch das, vor dem er mich verschont hat, wenn er seine Narben zeigt, dann wird er wohl bleiben dürfen, hofft er.

Was dann? Dann will er arbeiten. "Ich will nicht, dass Leute mir Geld geben", sagt er mit fester Stimme. "Ich möchte ein nützliches Mitglied der Gesellschaft werden."

Und jetzt muss er schon wieder los. Der FC Oos hat ihm ein Schnuppertraining angeboten. Und morgen wartet ein neues Konzert, bei dem er wieder mit der Concordia auftreten wird. Bestimmt ist dann auch wieder das "Badner Lied" im Repertoire, und er wird es auswendig hinausschmettern, alle Strophen, und das aus voller Brust.
 
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Aktualisierung: Inzwischen kann Benjamin schon gut Deutsch. Und da er in der Heimat auch Betriebswirtschaft studiert hat, hofft er nun inständig auf eine Ausbildung in einem Außenhandelsbetrieb. Viel Glück! 

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