Montag, 8. Mai 2017

Brigitte Glaser


Auf der Bühlerhöhe erfüllt sich ein Traum

Es ist der absoluter Traum des jeden Schriftstellers: Jahrelang knobelt man einem Stoff, kämpft mit Selbstzweifeln, verheddert sich schier in der Fülle des Recherchematerials, konstruiert, schreibt, verwirft, schreibt neu, sucht jemanden, der das Projekt ebenfalls liebt, findet diese Person, seziert mit ihr zusammen wieder Sätze und Sätze, poliert Wörter, haucht seinen Helden Leben ein, ringt mit Formulierungen und dann – geht es plötzlich los: Verlage überbieten sich, Lektoren, Marketingprofis und Verlagsvertreter wollen das Buch. Bedeutet: Hardcover! Spitzentitel eines großen Verlags! Werbekampagne! Platz 6 auf der Spiegel-Bestseller-Liste! Fernsehauftritt! Lesungen, Lesungen, Lesungen... Applaus!

Für viele Schriftsteller bleibt das ihr Leben lang Fiktion, aber für Brigitte Glaser ging dieser Traum im Herbst in Erfüllung: Mit ihrem Roman „Bühlerhöhe“ hat sie mitten ins Schwarze getroffen. Sie kann es selber noch gar nicht so richtig fassen.



Strahlend und überglücklich umarmt mich die freundliche Autorin, als wir uns in einem Café in Achern zu unserem Gespräch treffen. Der Erfolg ist der bodenständigen gebürtigen Badenerin überhaupt nicht zu Kopf gestiegen, freimütig und humorvoll erzählt sie aus ihrem Leben als Schriftstellerin: Von ihrer glücklichen Kindheit im Kreise einer großen Familie in Fautenbach, einem Ortsteil von Achern, vom ersten Umbruch, als es sie nach dem Sozialpädagogik-Studium nach Köln verschlagen hatte, vom Schicksal ihres ersten Krimis, den sie in den 80ern in einem Auszeit-Jahr geschrieben hat und der den Weg so vieler Erstlinge ging – nämlich direkt in die Schublade. Vom ersten Krimi, den sie zusammen mit einem Kollegen schrieb, der aber – trotz brisanten Themas – bei den Kritikern Naserümpfen hervorrief, weil er keine Leiche enthielt. Ein Stachel, der tief saß, und der zur Revanche antrieb: Gleich mit drei Leichen hatte sich später, im Jahr 2003, ihre neue Heldin Katharina Schweitzer in „Leichenschmaus“ herumzuschlagen! Bis dahin hatte Brigitte Glaser sich als Stadtteilkrimi-Schreiberin und Jugendbuchautorin erste Sporen verdient, nun aber war sie wieder zum epischen Krimi-Genre zurückgekehrt und konnte hier gleich zwei Leidenschaften miteinander verbinden: Das Schreiben und das Kochen.

Dazu schreibt die Autorin auf ihrer Homepage:

Der erste Roman mit Katharina Schweitzer! Als ich anfange zu schreiben, habe ich eine klare Vorstellungen, wie sie arbeitet – als ehrgeizige Köchin in großen Restaurants - und wie sie ausschaut: groß, gewaltig, rotlockig, unübersehbar. Äußerlich das glatte Gegenteil zu mir. Bis heute finde ich es gut, dass ich sie mir so ausgedacht habe, immer noch macht es Spaß, in eine Figur einzutauchen, die auf Männer herabschauen kann. Von ihrer Psyche habe ich damals noch wenig Ahnung, Katharina ist im wahrsten Sinne des Wortes „ein unbeschriebenes Blatt“, aber, nachdem ich Ang Lees wunderbaren Film „Eat, Drink, Man, Woman“ gesehen habe, weiß ich, in was für eine Geschichte sie hineingerät. Der Krimi hat natürlich etwas mit Kochen zu tun, und von Kochen verstehe ich was. Für Leichenschmaus tauche ich erstmals in die Welt des Profikochens ein: Arbeiten unter Hochdruck auf engstem Raum, extreme Hitze, rauer Umgangston, scharfe Konkurrenz. Was geschieht, wenn in so einer Arbeitsatmosphäre, einem solchen „locked room“ ein Mord geschieht?

Ich koche selber gern“, verrät die zierliche Autorin und lacht, „aber ich merkte schnell, dass ich keine Ahnung von professioneller Küche hatte.“ Drei bis vier Krimis brauchte sie, um sich in das Metier sattelfest einzuarbeiten, in „Kirschtote“ machte sie ihren Ausflug zurück nach Baden, das natürlich praktischerweise auch die ursprüngliche Heimat ihrer Heldin ist. Sieben Teile dieser Serie gibt es inzwischen, aber ach – als Serienschreiberin hat man irgendwann mit allzu festen Gleisen zu kämpfen, egal, wie gut die Bücher laufen. Die Ich-Persepktive nagte an ihr, und es einmal mit anderen Perspektiven zu versuchen, erschien verlockend.

So entstanden – sehr zur Freude ihrer zwei Töchter – ein paar Jugendbücher, dazwischen aber blitzte immer wieder eine gewisse Idee auf: Die Höhenhotels der Schwarzwaldhochstraße hatten es ihr von je her angetan, kein Wunder, wurde sie doch mit Geschichten über deren Blütezeit quasi großgezogen: Die Tante hatte einst einen Job auf der Bühlerhöhe, die Stiefmutter als junge Frau im Hundseck. Immer wieder hörte Brigitte Glaser Geschichten über jüdische Gäste, die dort Urlaub machten, und in dem Zusammenhang fiel auch oft der Begriff „Wiedergutmachung“. Spätestens bei den Recherchen zur „Kirschtoten“ flammte das Interesse richtig auf, und dass die Autorin ihre Kindheit in den 50er Jahren nicht vergessen mochte, kam noch dazu. Bühlerhöhe. Adenauer. Wiedergutmachung. Daraus musste doch eine Geschichte zu schreiben sein!

2009 zur Weihnachtszeit kam ein neues Puzzlesteinchen hinzu, als sie auf der Bühlerhöhe im aus ihrem damals aktuellen Buch „Bienenstich“ las. Mit großen Augen streifte sie durch Saal und Rotunde und vertiefte sich sofort in ein Gespräch mit dem damaligen Direktor des Hotels, Heinz Imhof. „Mir schwebt da was vor“, verriet sie mir damals, und auch, dass es kein Krimi werden würde. Eine langwierige, knifflige Recherchearbeit begann. Und fast hätte sie sich in all den ausufernden Nachforschungen, vor allem über die geliebten 50er Jahre, verstrickt, wenn da nicht eine kleine Gruppe von „mörderischen“ Freundinnen gewesen wäre, allesamt ebenfalls vom Fach, die die Reißleine zogen: „Wo ist die Geschichte? Wer sind deine Hauptpersonen?“, lauteten die zwei Kernfragen. Brigitte Glaser nahm sie sich zu Herzen, dachte nach und plötzlich war alles klar: Sie entschied sich, die Ereignisse aus der Sicht von drei sehr unterschiedlichen Frauen zu schildern. „Ab da wusste ich, dass alles stimmte“. 
 
Der Rest war Fleißarbeit und Glück, gepaart mit Selbstzweifeln, die es in dieser Branche immer gibt, und die manche Schriftsteller nicht schlafen lassen. In Brigitte Glasers Fall waren die Zweifel groß: Es war ihr erstes historisches Buch – stimmten die Details? Gerade im Fall des deutsch-israelischen Verhältnisses war Fingerspitzengefühl angesagt. Und es war ein heikles Thema – darf man als Deutsche aus der Sicht einer Jüdin schreiben? 
 
Nun denn – es hat geklappt. Und wie!

Seitdem gibt es viele Glücksmomente. Sind darunter ganz besondere Höhepunkte?

Der sensationelle Buchvertrag (Spitzentitel!), und das „kurz bevor ich 60 wurde“. Sie hält kurz inne und lächelt, wie man nur lächeln kann, wenn man unglaubliche 60 ist und es „geschafft“ hat: Stolz, gepaart mit ein bisschen Nach-und Einsicht: „Vor zehn Jahren hätte ich dieses Buch nicht schreiben können“, weiß sie, „ich habe alle früheren Erfahrungen gebraucht, musste erst das Handwerk lernen, bis alles stimmig war.“

Im Januar war das Buch fertig lektoriert – und dann? Hände in den Schoß legen? Urlaub machen?

Nicht bei Brigitte Glaser! Nahtlos ging es weiter mit dem Schreiben – ein Jugendbuch musste fertiggestellt werden, und nun sitzt sie, quasi zur Entspannung, an einem neuen Regionalkrimi mit bewährtem Personal. „Darin schicke ich Katharina Schweitzer zur Kur – und so fühle ich mich auch.“

Einen neuen großen Stoff hat sie erst für 2019 im Visier – alles andere wäre auch zuviel, denn zurzeit kommt sie nicht zur Ruhe. Eine Lesung jagt die andere – wenn auch leider immer noch eine in Baden-Baden fehlt!, dazu kommen Interviews und Fernsehauftritte... Ach ja, das Fernsehen! Der SWR hat extra für sie die abgeschottete Bühlerhöhe aufschließen lassen und hat mit ihr an den Originalschauplätzen über ihr Buch gesprochen. Ein echtes Highlight für sie. 
 
Ein zweites: Kürzlich durfte sie vor ausgewähltem Publikum in Rhöndorf, im ehemaligen Wohnzimmer Adenauers an dessen Wohnzimmertisch lesen.

Das alles macht sie wunschlos und dankbar.

Sie blickt versonnen aus dem Fenster, als ich sie frage, ob sie noch Träume hat. „Es sind doch so viele Träume in Erfüllung gegangen“, sagt sie schließlich, „und das Schöne ist, dass ich alles genießen kann, denn alles in meinem Leben ist im Augenblick gut.“ Wer kann das schon von sich sagen!




Zum Buch:
Bühlerhöhe
List-Verlag,
448 Seiten
ISBN: 978-3471351260
Kurztext:
Sommer, 1952. Deutschland diskutiert das Wiedergutmachungsgesetz. Konrad Adenauer reist zur Frischzellenkur in den Schwarzwald. Es gibt Morddrohungen aus verschiedenen Richtungen, auch von einer Extremistengruppe aus Israel. Um den Kanzler zu schützen, schickt der Mossad die junge Rosa Silbermann in das Nobelhotel Bühlerhöhe. Rosa konnte vor dem Holocaust aus Deutschland fliehen. In ihrer Kindheit war sie oft im Schwarzwald, und ihre Orts- und Sprachkenntnisse zeichnen sie aus. Als Agentin betritt sie allerdings Neuland, und ihre Mission wird dadurch erschwert, dass die versprochene Unterstützung nicht rechtzeitig eintrifft.

Brigitte Glaser und ihr Roman „Bühlerhöhe“ in der SWR-Sendung „Kunscht“ vom 20. 6. 2016 => KLICK


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